Wikivoyage:Pressemitteilung: Wikivoyage hat 10.000
Nach reichlich drei Jahren wurde mit dem Artikel über Dra' Abu en-Naga eine wichtige Schallmauer durchbrochen: Wikivoyage hat sich als freier Internet-Reiseführer etabliert
Von Roland Unger, CC-by-sa 3.0
Seit Matthias Claudius (1740 – 1815) wissen wir: „Wenn jemand eine Reise tut, so kann er was erzählen.“[1] Was aber, wenn man sie erst vorhat? Dann greift man in vertrauter Weise auf Reiseführer oder die Erfahrungen von Verwandten und Freunden zurück.
Im Internet kann man beides auf einmal haben: Am 24. Mai 2010 wurde der 10.000ste Reiseartikel auf dem freien Internet-Reiseführer Wikivoyage angelegt. Seine Informationen sind weltweit abrufbar, und wer möchte, kann sich mit seinem Erfahrungsschatz selbst einbringen.
Der 10.000ste
[Bearbeiten]Dass der 10.000ste Artikel gerade Dra' Abu en-Naga beschreibt, ist eher Zufall. Seine Thema hätte auch el-Qal'a, das Carter-Haus oder die Region an der israelischen Küste des Toten Meeres sein können.
Der 10.000. Artikel beschreibt das ägyptische Dorf Dra' Abu en-Naga und den in seinem Norden befindlichen altägyptischen Friedhof auf dem Westufer von Luxor. Er ist unter Touristen, aber selbst unter Wissenschaftlern nicht so bekannt, weil das Gebiet auch in der Forschung etwas vernachlässigt wurde. Erst vor etwa 10 Jahren wurden zwei Beamtengräber für Besucher eröffnet, das Grab des Roy und des Schuroy. Insbesondere das Grab des Roy gehört zu den schönsten Gräbern. In immer noch sehr frischen Farben sieht man den Grabherrn mit seiner Ehefrau Tawi-wai, wie sie im Opfergebet vor verschiedenen Göttern stehen, und die Totenprozession, bei der der Sarg des Verstorbenen auf einem Schlitten unter der Anteilnahme von klagenden Frauen zu seinem Grab gezogen wird. Eine Form der Prozession, die sich so ähnlich bis heute erhalten hat.
Der Friedhof ist aber nicht irgendeiner. Wie die Ägyptologen unter Leitung von Dr. Daniel Polz vom Deutschen Archäologischen Institut anhand ihrer Funde belegen konnten, ist dies auch der Friedhof der Pharaonen der 17. Dynastie und der beginnenden 18. Dynastie, auf dem u.a. Amenophis I. bestattet wurde. Auf dem Bergkamm befinden sich zudem die Überreste des frühchristlichen Klosters Deir el-Bachit, so dass hier auf engsten Raum 2000 Jahre Geschichte erlebbar werden.
Woher? – Wohin?
[Bearbeiten]Reisenden nützliche Information an die Hand zu geben, ist ein langes Geschäft. Moderne Technologien sind auf dem besten Weg, aber auch hier einen Wandel zu bewirken.
Der erste Reiseführer stammt wohl vom hl. Beda dem Ehrwürdigen (672/3 – 735), der in seinem Werk „De locis sanctis“ (Über die Heiligen Orte) Nützliches über Jerusalem zu berichten weiß, auch wenn er sich in würdigender Weise auf die gleichnamigen Schriften seiner Vorgänger Adomnan (628 – 704), Klostervorsteher von Iona, und den fränkischer Bischof Arculf (7. Jahrhundert) stützen konnte. Mitte des 16. Jahrhunderts legte Andrew Boorde (1490 – 1549) seinen britischen Landsleuten mit seinem „The Fyrst Boke of the Introduction of Knowledge“ (um 1555) den weltweit ersten Wegweiser durch Europa vor.
Einen echten Meilenstein setzte der Buchhändler Karl Baedeker (1801 – 1859), dessen Werk von seinen Söhnen fortgesetzt wurde. Der bei ihm verlegten Reiseführer „Rheinreise von Mainz bis Köln“ (1835, 2. Auflage) und „Moselreise von Trier bis Koblenz“ (1835) setzten Maßstäbe, denen sich auch moderne Führer stellen müssen. Ein Reiseführer entsteht nämlich nicht einfach so am Schreibtisch. Unerkannt recherchierte Karl Baedeker vor Ort, seine Hilfsmittel waren legendär: wer schleppt sonst schon Erbsen zum Zählen der Stufen im Mailänder Dom mit sich? Dieses vor Ort erlangte Wissen kombinierte er mit dem Wissen von Fachleuten. Diese Gründlichkeit führte dazu, dass seine Bücher in verschiedene Sprachen übersetzt wurden und Archäologen und Kunsthistorikern auch heute noch als wichtige Quelle dienen.
Heutzutage gibt es im Buchhandel zu zahlreichen Zielen Führer von zum Teil recht unterschiedlicher Qualität und in der Regel von Einzelpersonen geschrieben. Das Internet sorgt auch hier dafür, dass auch dieser Markt nun vor umgreifenden Änderungen steht. Reisende und Reiseveranstalter stellen ihre Informationen immer häufiger direkt ins Netz: hier sind sie sekundenschnell und in aller Regel kostenlos auffindbar.
Die Beliebtheit der Internet-Enzyklopädie Wikipedia ließ 2006 bei einer Reihe gleichgesinnter Reiseinteressenten den Wunsch reifen, etwas Gleichartiges in Form eines Webreiseführers auf die Beine zu stellen. Wikivoyage – dahinter verbirgt sich ein gemeinnütziger Verein und der von ihm betreute Internet-Reiseführer. Der Erfolg lässt sich in Zahlen ablesen: 10.000 Artikel. Und die Maßstäbe Baedekers sind immer noch aktuell: recherchiert wird vor Ort auf hohem Niveau – objektiv, aktuell und unabhängig von Vorlieben der Touristiker. Das unterscheidet Wikivoyage auch von anderen Anbietern mit meist automatisch generierten Inhalten.
Bedeutet das, dass die Zeiten gedruckter Führer in der Zukunft vorbei sind? Wohl nicht. Sie werden aber sicher individueller werden: als Variante für den Taschencomputer oder als persönliches Book on Demand. Beides ließe sich automatisch aus der Internet-Version generieren.
Was gibt es in Wikivoyage – und was noch nicht?
[Bearbeiten]Natürlich Artikel zu den einzelnen Reisezielen. Aber nicht nur. Angesprochen werden sollen auch nicht nur diejenigen, die in ihrem Urlaub in einer vorgegebenen Zeit ein vorgegebenes Programm „abarbeiten“. Es sollen auch jene Orte ihren Platz haben, die anderenorts aus Platzgründen nicht erwähnt werden oder weil der Autor sie für unbedeutend hält. Viele Dinge werden nicht selten erst dadurch interessant, weil man sie aus der Unbekanntheit reißt. Vielleicht stellt man fest, dass man seine eigene Stadt oder Umgebung noch nie so gesehen hat.
Zu den Reisezielen gibt es natürlich Hintergrundinformationen wie Sprachführer, Hinweise zur Reisevorbereitung, Tipps zum Telefonieren im Ausland, medizinische Vorsorge, aktuelle Nachrichten usw. Oder Erläuterungen zu Radtouren, Wanderungen, Freizeitsport, Brauchtum und vieles mehr.
Alle Informationen sind rund um die Uhr zugänglich. Man kann einfach herumstöbern und sich durch die Welt treiben lassen. Und findet so vielleicht neue Anregungen.
Anregungen sollen auch die Reiseziele des Monats bieten. Sie werden von der Leser- und Autorengemeinde aus dem Fundus guter Artikel gewählt. Gerade in der Rubrik „Abseits der Touristenpfade“ gibt es viel Unbekanntes zu entdecken wie in Teterow oder Diessenhofen. Wenn Sie Diessenhofen nicht kennen sollten, schauen Sie doch gleich bei Wikivoyage vorbei.
Auch nach dem 10.000sten Artikel ist es noch ein weiter Weg, Reiseziele und -themen möglichst umfassend abzudecken. So gibt es gut abgedeckte Regionen wie Bayern, Kambodscha, die Karibik, Ägypten u.a., jedoch auch noch Lücken. Aber es kann ja jeder mithelfen, selbst wenn er nur eine Telefonnummer korrigiert.
Wie funktioniert es?
[Bearbeiten]Hinter Wikivoyage wirkt eine ausgefeilte Software MediaWiki, wie sie auch die Wikipedia einsetzt. Sie gestattet das Lesen und Mitarbeiten für Jedermann. Aufgrund der Bekanntheit der Wikipedia werden sich Leser und Autoren auch hier recht schnell zurechtfinden.
Fehlende Funktionen werden durch ein kleines Entwickler-Team ergänzt. Mittlerweile kann sich das Projekt auch auf die Daten anderer freier Projekte stützen: so verwendet Wikivoyage Kartendaten von OpenStreetMap.
Irren ist menschlich
[Bearbeiten]Ich kann mich noch daran erinnern, dass man mich als verrückt gehalten hat, als ich bei der Gründung des Projekts Wikivoyage prognostiziert hatte, wir würden nach drei Jahren 10.000 Artikel in unserem Bestand haben. Nun gut, ich habe mich geirrt. Es hat 3 Jahre und 5 Monate gedauert. Dafür gibt es aber noch ca. 20.000 Fotos zu den Reisezielen.
Hintergrund
[Bearbeiten]Der Online-Reiseführer wurde am 10. Dezember 2006 vom gemeinnützigen Verein Wikivoyage e.V. mit Sitz in Halle (Saale) ins Leben gerufen und steht unter der freien CC-by-sa-Lizenz (Creative-Commons-Lizenz Namensnennung-Weitergabe unter gleichen Bedingungen). Die Webseite umfasst über 10.000 Artikel rund um das Reisen in deutscher Sprache und 3.000 Artikel auf Italienisch.
Creative-Commons-Lizenz Namensnennung-Weitergabe unter gleichen Bedingungen ist eine freie Lizenz. Sie erlaubt die Weiterverbreitung, Veränderung und Nutzung der angebotenen Information zu jeglichem Zweck – darin ist die kommerzielle Nutzung eingeschlossen – ohne Entrichtung von Lizenzgebühren. Die Namen der Autoren müssen genannt werden und abgeleitete Werke müssen unter denselben Bedingungen verbreitet werden.
Wikivoyage im Internet
[Bearbeiten]www.wikivoyage.org
Kontakt
[Bearbeiten]E-Mail: vorstand@wikivoyage.org
Webseite: http://www.wikivoyage.org
Einzelnachweise
[Bearbeiten]- ↑ Urians Reise um die Welt, auf Versalia.de